Behördenkrieg

Epilepsie

Alle Kranken kriegen es zu tun mit Ämtern und Behörden, teilweise wird das zum Full-Time-Job: Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Menschen erfolgt nur aufgrund einer schriftlichen Bescheinigung vom Arzt. Beliebige Sachbearbeiter entscheiden über Arbeitsfähigkeit, Anspruch auf Umschulung/Weiterbildung, Bedürftigkeit als Sozialleistungsempfänger usw. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Bürokratie die Gewährung von Leistungsansprüchen bremsen soll. Wer sich nicht durchbeißen kann, hat Pech gehabt… Das sind nicht nur die, die nicht richtig Deutsch sprechen.

Natürlich – es gibt auch bei den Ämtern anständige Leute, die sich sehr aufreiben in ihrem Job. Nur ist doch allein die Tatsache sehr frustrierend und demütigend, dass mein Anliegen dem Gutdünken und der Fachkompetenz von Behördenmitarbeitern ausgeliefert ist. Da gibt es welche, die sich sehr bemühen und mich ernst nehmen, andere spielen ihr bisschen Macht aus und sind nur gut darin ihre Ablehnungsbescheide zu begründen. An wen ich da gerate: Ein Glücksspiel, dabei möchte ich mich eigentlich auf keine Spielchen einlassen und schon diese Ungewissheit bedeutet Stress…

Bei Ärzten habe ich freie Wahl, bei Sachbearbeitern nicht. Ob mein zuständiger Sachbearbeiter engagiert ist oder misslaunig – Glückssache. Ich habe in dem Fall auch schon ein Gespräch mit dem Vorgesetzten verlangt… Abteilungsleiter leiden seltener an Intelligenzminderung…

Das deutsche Sozialsystem ist recht stark, aber voller bürokratischer Hürden. Antragsteller sind automatisch in einer Bittstellerhaltung und dem Gutdünken der Ämter ausgeliefert. Die Abhängigkeit von der Sichtweise Einzelner (Ärzte sowie Sachbearbeiter) und der Frust über amtliche Willkür bringt Betroffene oft in große Schwierigkeiten und schränkt eben gerade diese Selbstbestimmung ein. Wir müssen uns rechtfertigen für etwas, das sich keiner ausgesucht hat und allein dadurch verschärft sich die Krankheit… Ein Teufelskreis.

Dabei ist es Aufgabe aller Behörden zu beraten und im Sinne der Menschen zu entscheiden. Dass sich dabei zwei Fronten bilden und Leute ihre rechtlichen Ansprüche mit viel Aufwand durchsetzen müssen ist ein großes Missverständnis und scheint den Verantwortlichen nicht klar zu sein. Somit wird der stressige Behördenkrieg zu einem wichtigen Teil gesundheitlicher Handycaps. Wohl dem, der sich durchsetzen kann…

Mir geht es gar nicht um Schuldzuweisung. Behörden arbeiten eben nach einem strengen juristischen Regelwerk. Aber genau dieses System ist das Problem. Alles muss in Kategorien und Normen gepresst werden, damit am Ende eine Entscheidung steht. Deshalb lässt sich dieser Prozess in der Form komplett digitalisieren – Parameter eingeben, der Computer spuckt sofort das Ergebnis aus (schneller, zuverlässiger, pausenlos ohne Freizeit, online vernetzte Datenbanken…, alles bei Störungen schnell zu reparieren oder auszutauschen…). Menschliche Behördenmitarbeiter haben nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie individuell entscheiden können – mit Ermessensspielraum im Rahmen einer Gesetzgebung. Meist ist das auch rechtlich machbar, nur können wohl nicht alle Sachbearbeiter kluge Entscheidungen treffen, manchmal dürfen sie auch gar nicht.

Auch das ist Inkompetenz – aus Mangel an Qualifikation bzw. Stellung in der Struktur (als einfacher Sachbearbeiter) keine individuellen Entscheidungen treffen zu können. Sehr viele Fälle passen nämlich nicht in eine Schublade nach „Schema F“ und in den Bergen von Gesetzestexten kann es nicht für jeden Individualfall eine Regelung geben.

Beispiel: Ist es für Epileptiker ein zumutbares Risiko einen Arbeitsweg zu Fuß/mit ÖPNV zurückzulegen? Allgemein gesagt, wie die Frage, so die Antwort: klares „Jein“. Für manche kein Problem, für einige viel zu riskant, für andere… teilweise (nach Tagesform). Aber im Formular muss der Sachbearbeiter „ja“ oder „nein“ ankreuzen und das ist dann entscheidend für… wasweißich. Es ist eine Zumutung für Antragsteller sowie Sachbearbeiter, dass bei Unklarheiten nicht sofort Experten so etwas entscheiden.

Offizielle Ansprechpartner sind zunächst die Sozialberater in Kliniken aller Art. Nach meiner Erfahrung können die von „sehr kompetent“ bis „völlig ahnungslos“ alles sein – einen Versuch ist es wert bzw. sollte man die Reihenfolge der zuständigen Stellen einhalten. Die sollten wissen, was man wie und wo beantragen kann. Wenn dann irgendwelche Anträge (z.B. Schwerbehindertenausweis) direkt von denen aus der Klinik heraus beantragt werden, hat das „ein höheres Gewicht“ und wird nicht so einfach abgelehnt.

Aber mein Job als Patient ist, so etwas selbst zu können. Ich konnte bisher immer sagen: Ich habe mich korrekt verhalten und immer alles vollständig und termingerecht vorgelegt. Nur wenn ich aufpasse und nichts versäume, liegt der Ball immer im Spielfeld der Bohörden und ich reagiere sofort. Nur dann darf ich mich über Ungerechtigkeiten beschweren und die Klage vor’m Sozialgericht steht wirklich als letzte Möglichkeit am Ende dieser Kette. Nur wenn ich gut informiert bin was mir zusteht, kann ich die an ihre eigenen Spielregeln erinnern.

Dann ist da noch die Beratungsfunktion der Behörden (gesetzlich vorgeschrieben) – oft mit eher ablehnender Grundhaltung. Ob das ein lockeres Beratungsgespräch wird oder man ohne die richtigen Fragen auch keine nützlichen Antworten bekommt – Zufall. Natürlich können die Menschen dort nicht die gewaltige Menge gesetzlicher Einzelfall-Regelungen im Kopf haben. Und sie können individuelle Feinheiten nicht wissen – leider wieder mein Job als Antragsteller.

Ich habe das immer so gesehen: Der Vorteil krank zu sein und keinen Job zu haben ist eine Menge Zeit. Natürlich brauche ich Geld und würde auch gern dafür arbeiten. Solange das nicht geht, stehen mir gewisse Sozialleistungen zu (evtl. auch REHA usw.) – alles Dinge, die ich in korrekter Form beantragen muss, nichts kommt von selbst. Um wirklich alles zu kriegen was mir gesetzlich nunmal zusteht, muss ich mich kümmern und darf es nicht schleifen lassen. Wenn ich nicht bekomme, was ich brauche, muss ich mich informieren und Druck machen, leider. Viele geben sich einfach damit zufrieden, was bewilligt wird und wissen nicht, was ihnen zusteht – niemand „bettelt“ gern beim Amt für… irgendwas.

Aber: In Deutschland gibt es einen Rechtsanspruch auf finanzielle/existenzielle Grundversorgung und medizinische Betreuung/Therapien etc. Es ist keine Schande das einzufordern! Sozialgesetze sind mit viel Aufwand entwickelt worden (immer verbesserungswürdig, na klar) und gelten für alle, die in DE leben. Somit ist es eine Ungerechtigkeit, wenn einige Sozialleistungen kriegen, die anderen verwehrt werden. Das ist nicht im Sinne der Gesetzgebung und niemand braucht sich zu schämen, wenn er aus gesundheitlicher Notlage heraus Hilfe sucht. Jeder hat auch Anspruch auf Beratung und Hilfe beim Hilfe beantragen… Bei manchen gehört praktisch zum Krankheitsbild, dass sie nichts unternehmen – schwierig, denn praktisch keine Hilfe gibt’s ohne Eigenmotivation.

Das Gezerre mit den Behörden ist zermürbend und viele sagen irgendwann: „Lasst mich doch in Ruhe“. Das ist wirklich abzuwägen, ob ich mir den Stress machen muss…

Meine persönliche Lösung dafür: Think positive! Ich verwende meinen Zeit-Überschuss für Recherchen, was mir zusteht – löst das Problem der fehlenden Tagesstruktur. Und wenn mir jemand beim Amt prinzipiell widerwillig kommt, drehe ich den Spieß um und sehe es als „sportlichen Wettkampf: Bürokratie-Marathon“. Nein, es macht mir keinen Spaß und ich beneide die Bürokraten nicht, aber kann’s inzwischen gut und sehe Papierkram positiv als Übung für Disziplin und Ordnung. Was soll ich mich aufregen, wenn es nicht zu ändern ist…

Meistens sind die Behörden gar nicht auf Krawall gebürstet – müssen halt täglich viele Fälle abarbeiten. Die haben doch gar kein Motiv, jemandem etwas vorzuenthalten. Ihnen persönlich kann es egal sein… Aber wenn Fehler passieren und ich das nicht merke… Stichwort Eigenverantwortung.

Ganz wichtig ist: Es gibt bei allen diesen Entscheidungen die Möglichkeit Widerspruch einzulegen, dann wird neu geprüft – ganz einfach. Aber da muss man unbedingt die Fristen einhalten und fast nichts lässt sich rückwirkend beantragen. Also: Kümmert euch immer sofort und lasst es nie schleifen. Bei Versäumnissen… selber Schuld.

Ich selbst recherchiere bei wichtigen Themen immer aus mehreren Quellen. Behörden arbeiten irgendwelche Vorschriften ab. Deshalb bin ich sicher, dass Büroarbeiten aus wiederkehrenden Handlungsabläufen zunehmend von Computern übernommen werden – Algorithmen abzuarbeiten ist deren Spezialität. Wenn dazu noch künstliche Intelligenz kommt, die selbstlernend die Prozesse optimiert und alles Wissen des Internet mit eigenen Datenbanken verknüpfen kann… Viele werden nicht bis zum Rentenalter in ihren stickigen Büros sitzen. Die sollten mal nachdenken, was sie können, was die Technik nicht kann (Empathie, moralische Abwägung… oder so?).

Beispiel (mal was ganz anderes): Laut Untersuchungen ist ca. die Hälfte(!) aller Nebenkostenabrechnungen nicht korrekt. Aber wenn ich es nicht nachprüfe und fristgemäß reklamiere… Alle kriegen es schriftlich und keiner schaut genauer hin (es muss auch verständlich sein) – Pech gehabt. Übrigens will ich mal dazu sagen, dass mir bei irgendwelchen Bescheiden/Zahlungen auch schon Fehler zu meinen Gunsten aufgefallen sind – der Beweis, dass da Menschen arbeiten, die mich nicht bescheißen wollen, nur eben Fehler machen können und ich kriege es schriftlich, DAMIT ich es prüfen kann. Eigenverantwortung eben.

Als langfristige Lösung für den Behördenstress sehe ich nur die Digitalisierung, denn das Abarbeiten von Formularen mit Daten ist eine typische Aufgabe für Computerprogramme mit vernetzten Datenbanken. Technisch ist das längst machbar und wird kommen (wird auch immer öfter von Experten beschrieben).

Außerdem finde ich grundsätzlich: Gesetzliche Regelungen sind Verhaltensregeln für alle Menschen einer Gesellschaft. Die sollten deshalb möglichst allgemein verständlich formuliert und allgemein bekannt sein. Andererseits hat es nicht nur Nachteile, wenn juristische Entscheidungen lange geprüft und abgewägt werden. Es geht hier nicht um eine klare „Schuldfrage“, sondern die Grautöne zwischen „Ja“ und „Nein“. Also genau das, was im Ermessensspielraum von gestzlichen Vorschriften liegt. Solche Entscheidungen lassen sich nicht in einem Computerprogramm formulieren.

Objektiv betrachtet ist es doch irre, dass kein mündiger Bürger einer Gesellschaft genau die Regeln kennt, was er im Leben darf, was ihm zusteht und was nicht. Erst wenn Regeln gebrochen wurden, erkären uns Advokaten (die auch nur einen Teil der Gesetze kennen), wie wir uns hätten verhalten müssen. Das ist absurd und kleinteilige, intransparente Gesetze sind nutzlos, weil sie niemals auf jede Einzelsituation anwendbar sind. Bürokratie ist notwendig, aber man sollte sie dringend vereinfachen.

Einige wichtige Themen + Links für Epileptiker:

Buch-Empfehlung (auch für Behörden-Mitarbeiter)

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